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Nordamerika Tour 2023 – Tag 150 / 27.09.23


Der Herbst wird jeden Tag spürbarer, auch wenn der Indian Summer noch keine schöne Laubfärbung hervorgebracht hat. Die Nächte sind einstellig kühl, die Wildgänse fallen in Scharen aus dem Norden ein, um sich für den Weiterflug zu erholen und die Stare bevölkern die Stromleitungen. Die Sonne schafft es am Vormittag nicht mehr den Dunst aufzulösen, so dass die Fotografie zur Herausforderung wird, besser gesagt die Bildbearbeitung.
Wir sind vom Campingplatz in den Nationalpark gefahren, der außerhalb der Saison geöffnet hat, aber nichts mehr kostet. Es sollte ein sehr emotional bewegter Tag werden. Die Bilder, die ich gesehen habe, können kontrastreicher nicht sein. Auf der einen Seite die wunderschöne Weite und fast unberührte Natur und auf der anderen Seite die katastrophale Zerstörung die der Hurrikan Viona 2022 hinterlassen hat. Allein schon die Erzählungen der Campingplatzbesitzerin, eine 1999 ausgewanderte Friesin, nicht Holländerin, da legt sie großen Wert darauf, war unvorstellbar. Sie hat den Platz 2006 gekauft und Viona hat das Empfangsgebäude komplett zerstört und viele Reparaturen notwendig gemacht. Heute sieht man, außer, dass der Empfang ein Wohncontainer ist, nichts mehr. Aber ich konnte sehr gut mitfühlen welche große, fast panische Angst die Menschen erlebt haben, als Hurrikan Lee im Anmarsch war. Der hatte aber nur noch Starkregen im Gepäck.
An der Küste sieht man die Auswirkungen nicht so gravierend, da die Erosion des relativ weichen Gesteins ein ganz normaler Verwitterungsprozess ist. Auffällig sind da schon eher die massiven Auswaschungen, die die Wassermassen Richtung Atlantik verursacht haben und die Zerstörung von Randwegen mit kleinen Brücken aus Holz. Ganz anders sieht es im Wald am Hyw. aus. Warum das physikalisch so ist habe ich noch nicht durchdrungen, aber die erste Baumreihe ist so gut wie unbeschädigt. Erst ab der dritten Baumreihe wird es katastrophal mit 100% Verlust. Nicht über die gesamte Strecke von 200 Kilometern, aber in so kurzen Abständen von wenigen 100 Metern, was mit den Sturmschäden in Deutschland überhaupt nicht zu vergleichen ist. Es sind abertausende von entwurzelten Bäumen, und obwohl viel getan wird, um das Holz zu bergen und zu nutzen, scheint es ein aussichtsloser Kampf gegen die Auswirkungen der Natur zu sein. Auch eingestürzte oder stark beschädigte Gebäude habe ich gesehen. Was überall wieder rechtzeitig zur Saison hergestellt worden ist sind die Parkplätze zu den Stränden, von denen es recht viele gibt, aber nur einen mit weißem Sand. Alle anderen haben diesen rötlich, braunen Sand, der an den Belag von Tennisplätzen erinnert. Die nächste Station war North Lake, und wo kommt der Name her: vom North Lake. Ein Ort ist schwerlich auszumachen, da die überwiegende Zahl der Gebäude der intensiven Zucht von Austern und dem Hummerfang dienen. Wohngebäude in dem Sinne habe ich nicht gesehen. Das war aber auch gar nicht mein Ziel, denn mein Ziel war die North Lake Boathouse Eatery. Das zu vermitteln ist nicht ganz einfach, dazu muss man, glaube ich, in jungen Jahren mit dem Nordamerika Virus infiziert worden sein. Auch wenn er deutlich „verblasst ist“, er ist ganz einfach da. Wie die Nordamerikaner halt sind, alles ist superlativ, soll es das beste Restaurant auf Prince Edward island sein. Das kann ich definitiv nicht beurteilen, aber dieses Urgefühl – warm, spannend, aufregend, yes, I can! – die Erinnerung aus meiner Zeit mit Mobil Oil und besonders mit Mobil Oil Canada in Calgary war spontan da. Mich hat das äußere, urige sehr getriggert, und das wurde drinnen noch einmal verstärkt. Klein, vielleicht 20 Sitzplätze und einfach nur schön zum „verlieben“ und abtauchen.
Das sind solche Glücksmomente, wie ich sie auch aus New Orleans kenne. Da geht man völlig unbedarft im French Quarter in eine Kneipe und da spielen zwei echte Typen abwechselnd für 2$ Wunschlieder der Gäste, sofern sie sie kennen. Lach, war auch mal in Sydney so – nur noch eine bayrische Kneipe bei der Ankunft offen und es gab Brathendl mit 99 Luftballons von Nena – hallo? Nena in der schönsten Metropole der Welt, die ich gesehen habe.
Nach diesem kurzen Ausflug in „alte Zeiten“ sind wir zum East Point gefahren und haben uns den majestätischen Leuchtturm angeschaut. Sehr schönes Bauwerk, toll in Schuß, aber natürlich in der wahren Wirkung nur von See und bei Dunkelheit zu erfahren. Es gibt an der See in Deutschland Touren, die einem genau vermitteln, was die Seezeichen in der Dunkelheit bedeuten, kann ich wärmsten empfehlen.
Da der Campingplatz am North Lake schon geschlossen ist haben wir nach iOverlander Quartier am Confederation Trail bezogen. Das ist der Startpunkt einer ehemaligen Eisenbahnstrecke in Privatbesitz, die den Osten mit dem Westen verbunden hat, als es noch keine befestigten Straßen und Autos gab. Die Eisenbahn ist heute Museum und parallel zu den Gleisen führt ein Weg für Wanderer und insbesondere für Biker.